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Der Schwarzwaldmarathon

Bericht, Bräunlingen-Marathon 2010

Sieben Uhr , Aufstehen, Müsli runterwürgen und ab ins Auto. Parken, Startnummer abholen, ein wenig im Gelände um den Start Einlaufen. Hierbei stelle ich fest das meine Hose runter rutscht wenn ich die beiden Powergels die ich zum nachdopen mitgenommen habe in die Taschen stecke. Diese werde ich also wohl bis zum Einsatz derselben in den Händen mit mir rumtragen müssen. Noch 4 Minuten bis zum Start, der Sprecher befielt das Einreihen in der Startgasse. Wo genau ich hin soll weiß ich nicht aber das vordere Drittel wird schon nicht ganz falsch sein. Wenn ich doch langsamer bin haben wenigstens alle die mich überholen ein Erfolgserlebnis. Trotz der vielen Menschen wird es ohne Bewegung doch etwas kühl. Nebel und geschätzte 10 Grad sind mir zwar lieber als 30 Grad stechende Sonne aber ein wenig wärmere Laufsachen hätten es doch sein dürfen.

Los geht’s . Nach ein paar Sekunden warten und Tippelschritten über die ersten hundert Meter stehen der freien Wahl des Lauftempos keine anderen Läufer mehr im Wege. Die ersten paar Kilometer sollen flach sein also versuche ich mal mich zügig einzulaufen aber dabei nicht gleich völlig zu verausgaben. „So ein Marathon ist lang“ wusste einer der Erfahreneren Läufer in Hörweite im Startblock zu vermelden. Leider klappt das nicht so gut da mich jedesmal wenn einer ein Stückchen vor mir läuft, und da laufen viele, der Ehrgeiz packt denjenigen zu überholen.

Bei Km3 , Bruggen, stehen dann auch erst 12 Minuten 30 Sekunden auf der Uhr. Das ist schneller als ich eigentlich wollte. Glücklicherweise geht es ab hier bergauf und das bremst natürlich etwas. Vor mir läuft eine blondgelockte Amazone mit Hüftlangem Zottelhaar das wie ein Pendel im Takt der Schritte hin und her schwingt. Hier gefällt es mir, hier bleibe ich ein Weilchen, denke ich und hänge mich hinter Grimhild. Die Erholungsphase nutze ich um einen Blick auf die Umgebung zu werfen. Im Prinzip ein weites ansteigendes Feld mit Nebel darauf und einer Schnur von Läufern darin. Sehr hübsch eigentlich.

Bei KM 4 verrät mir ein Blick auf die Uhr dass ich mit der Tachiniererei drauf und dran bin meinen Vorsprung auf die Sollzeit vorzeitig zu verspielen. So wird traurig Abschied von der Läuferin vor mir genommen und ein Zahn zugelegt.

Bei KM 5 dann die erste Verpflegungsstelle und gleich die Chance für mich etwas dazuzulernen: Im laufen kann man nicht oder nur sehr schlecht trinken. Vom Inhalt eines Plastikbechers mit Wasser landen mindestens drei viertel auf dem Trikot. Und ein dünnes nasses Trikot wärmt noch schlechter als ein dünnes Trockenes. Aber, soweit so gut. Ich passiere in einem Pulk von Mitstreitern einen Mann mit einem Ski am Wegesrand. Prima! Lokalkolorit! Und wie viele Zuschauer sich trotz des Wetters an die Strecke gestellt haben ist Bewundernswert. Bald darauf verschwindet der Weg im Wald und bis zum Kilometer 10 passiert nichts Erwähnenswertes mehr. Anstrengend ist es halt. Ich bin laut Uhr jetzt langsamer als ich sollte (Schnitt 4:17) aber schneller laufen möchte ich wirklich nicht. Irgendwann wird vom Waldweg auf eine Nagelneue schwarz asphaltierte Straße mit blendend weißen Straßenmarkierungen abgebogen und ich lerne noch etwas dazu: Auf Asphalt läuft es sich deutlich schneller als auf Waldboden. Leider ist dieses Erholsame Stück jedoch nicht mal einen knappen Kilometer lang.

Dann geht es am Ende der Straße rechtwinklig rechts ab und ich bin plötzlich allein auf weiter Flur. Der Blick zurück zeigt ein immer schmaler werdendes freies Fenster in den Bäumen an dem ein ununterbrochener Strom von Halbmarathonisten vorbeizieht aber nur einen einzigen Läufer auf dem Weg auf den Ich abgebogen bin, der Triathlet mit dem Erdfarbenen Teint und dem muskulösen Oberkörper der mir schon am Start aufgefallen war. Falls ich falsch abgebogen und der Iron Man mir im Trott gefolgt wäre hätte allerdings sicher einer von den vielen Helfern an der Abzweigung etwas gerufen und, da vorne, im Nebel, ist das nicht ein Läufer? Zwei Möglichkeiten, zurückfallenlassen und mich Mr. Proper anschließen oder versuchen die Vorrauslaufenden einzuholen. Dazwischen gibt es nichts den wenn ich ab Km 12 allein laufe komme ich mit Sicherheit nicht lebend an, wenn überhaupt! Eine gnadenlose Aufholjagd beginnt und mit der Differenzgeschwindigkeit zweier spanischer LKW beim Überholen, schiebe ich mich über die nächsten zwei Km näher und näher an die Gestalt im Nebel heran. Aus der einen werden dann auch bald mehrere und ich glaube mein Marathonlaufgrüppchen gefunden zu haben. Eine Radfahrerin zur Betreuung ist auch dabei hängt aber stets ab sobald es etwas steiler wird. Blick auf die Uhr zeigt dass, das Tempo in etwa stimmt. Inzwischen ist noch ein zweiter Radfahrer zu uns gestoßen der sehr offiziell aussieht und den frage ich wie wir im Rennen liegen und ob es einen Zugläufer für die Drei Stunden gäbe. Bevor er antworten kann hechelt einer der Mitläufer: „Ja, Uns“. „Nur müsse man dann“, geht es nach ein paar Atemzügen weiter, „ab Km 20 einfach etwas schneller laufen“. „Spitze“, denke ich mir, „ein Mann mit einem soliden Plan“. Der Forst zwischen Unterbränd und Eisenbach wird von einem Netz rechtwinklig in gleichem Abstand angelegter Waldwege durchzogen, die Marathonstrecke macht also etwa jeden Kilometer einen 90 Grad Knick nach rechts oder links, und nicht nur sind diese Abzweigungen perfekt mit Absperrband oder Sägemehl auf dem Weg markiert, meist stehen dort auch noch ein Duzend Leute zum anfeuern und aufpassen das wirklich keiner im Nebel geradeaus weiter läuft. Obwohl ich mich inzwischen dauerhaft im Orangeroten Bereich befinde nötige ich mir an jeder Biegung ein anerkennendes Lächeln in der ungefähren Richtung der Streckenposten ab. Sehen kann ich nämlich inzwischen fast gar nix mehr. Erstens ist es neblig, zweitens beschlägt der Sprühnebel meine Brille von außen, drittens beschlägt mein Atem die Brille von innen und viertens leider ich vermutlich unter belastungsbedingten Wahrnehmungsstörungen. (Schaute da nicht eben ein Troll hinter dem Baumstumpf vor?)

Km 21 . Ab hier geht’s angeblich nur noch bergab. Und wieder lerne ich etwas: Berg ab tut mehr weh als Berg auf. Blick auf die Uhr Durchschnittszeit ist 4:19. Um da noch auf die geplante Zielzeit zu kommen müsste ich jetzt pro km 4 Sekunden schneller laufen als ursprünglich geplant. Während ich versuche zu rechnen taucht mitten im Wald eine Uhr mit der Zeit auf. Ich bin so verblüfft das ich mich hinterher nicht mehr erinnern kann welche Zeit den nun auf der Uhr gestanden ist.

Km 25 . Die Gruppe besteht nun nur noch aus vier Personen die alle ein recht gleichmäßiges Tempo laufen. Erholsam ist es zwar nicht aber immerhin komme ich so ganz gut mit und werde eigentlich wieder ganz zuversichtlich was den Ausgang der Unternehmung angeht. Übrigens habe ich zu dem Zeitpunkt alle um mich herum für Ende 20 bis Anfang 30, also für etwa in meiner Altersklasse gehalten. Aus der Ergebnisliste ging dann hervor dass die zwischen 40 und 50 waren.

Wir laufen sanft bergauf und passieren gerade Km 33 da zieht Oranje an. Fahrspur gewechselt und drangehängt. Nicht abhängen lassen. Wenn die Gruppe mir jetzt wegläuft werde ich mit Sicherheit durchgereicht. Geht auch ganz gut, kann unter Aufbietung aller Kräfte folgen. Nach ein paar Minuten fällt mir auf das wir allein sind. Die anderen beiden konnten oder wollten offenbar nicht folgen und sind zurückgeblieben. Das ist ein wenig doof weil ich ja jetzt eigentlich nicht so schnell gemusst hätte. Wir kommen aus dem Wald und von hier an wird es nun wirklich nur noch bergab bis ins Ziel gehen. Oranje wittert das und legt nochmal zu. Das ist jetzt schneller als ich laufen kann. Was tun? Klarer Fall: Dopen! Fast scheitert es am öffnen des Powergels aber irgendwie lässt sich der Plastikverschluss dann doch abbeißen und runter mit der Plörre. Ich laufe um mein Leben und warte auf Wirkung. Nach 30 Sekunden kündigt sich die Wirkung an. Ein kurzes zusammenzucken des Magens, dann kommt die süße Pampe wieder aus Mund und Nase geschossen. Einmal zum Abwischen mit dem Ärmel drüber für die Fotographen. Verflucht noch eins, leider läuft Oranje vor mir und guckt nicht. Soviel Abgebrühtheit im Angesicht des Hammermanns hätte ihn jetzt sicher schwer demoralisiert. Es geht durch Unterbränd, eine Musikkapelle spielt und ich versuche wertschätzend zu gucken, gucke aber wie ich hinterher auf den Photos sehe nur mit leeren Augen stier auf etwas das nicht mehr von dieser Welt sein kann. Gesichtszüge habe ich zu diesem Zeitpunkt auch keine mehr. Ich lasse es definitiv nicht leicht aussehen. Genau jetzt kommt eine von Kindern bemannte Verpflegungsstation, vom ersten Kind schnappe ich mir einen Becher, das zweite und dritte Kind werden fast über den Haufen gerannt. Ich glaube das es Kinder gewesen sind. Ganz sicher bin ich nicht. Vielleicht handelte es sich auch um die Großen Kartons zur Rückgabe der Trinkbecher oder um die Waldtrolle von vorhin.

Bei Kilometer 40 laufen wir auf einen Grüngewandeten Läufer (Oder einen Kobold?) auf den offensichtlich die Lust verlassen hat. Gemütlich trabt er vor sich hin. Kurz bevor wir ihn einholen gucke ich auf die Uhr und stellte fest das für die letzten 2km noch 10 Minuten bleiben. So langsam um das noch versemmeln zu können wir ja gar nicht laufen denkt sich mein Kopf und mit einem Schlag ist die Motivation Holland in seinem wahnsinnigem Tempo zu folgen weg. Der Kopf nimmt das Tempo raus und während ich seine Entscheidung prüfe trabt mir mein Zugpferd davon.

Bei Km 40 beginnt mein Marathon. Ab jetzt tut es weh, so richtig. Ich bin allein, vor mir eine einzige enteilende Gestalt in weiter Ferne, hinter mir verspürt der überholte Eingebrochene offenbar einen zweiten Wind. Ausgerechnet jetzt hebt sich der Nebel und von der Strecke die sich auf einem Asphaltierten Feldweg durch abgeerntete Felder windet kann man mehr als einen quälenden Kilometer voraus einsehen. Bis zur Ortsgrenze von Bräunlingen beschäftige ich mich mit dem Errichten immer neuer mentaler Barrieren gegen die Schmerzmeldungen aus allen Regionen des Körpers. Wie schnell ich bin weiß ich nicht mehr weil die Uhr ausgerechnet jetzt das GPS-Signal verliert und nur noch Zeit anzeigt.

Da ist das Dach eines Kirchturms. Die Kirche war auf dem Zufahrtsplan doch ganz in der Nähe des Ziels? Es kann nicht mehr weit sein aber vielleicht macht die Strecke noch ein paar Schleifen durch den Ort damit die Bräunlinger mir noch ein wenig beim Leiden zugucken können? Ungewissheit und meine Uhr kann mir jetzt auch nicht mehr weiterhelfen. Bevor die Motivation endgültig wegbricht und die Hüfte sowie Oberschenkel mitnimmt steht genau hier glücklicherweise ein Polizist und ruft: „Noch 300 Meter“. Hier säumen jetzt auch plötzlich mehr Leute den Straßenrand. Richtig bejubelt wird man, glaube ich, den so besonders viel bekomme ich nicht mehr mit. Auf den letzten 30 Metern über den roten Teppich fast noch mit einem Walker zusammengestoßen. Dann stehenbleiben. Ich bekomme eine Medaille und humple aus dem unmittelbaren Zielbereich hinaus. Es geht mir nicht so gut. Euphorie? Pustekuchen. Nur nicht mehr stehen will ich. Neben dem Ziel setze ich mich dann auf eine Bank und beim Blick auf die Zieluhr fällt mir auf das ich gar nicht weiß wie lange ich gebraucht habe und wievielter ich geworden. Meine eigene Uhr am Handgelenk habe ich beim überqueren der Ziellinie nicht angehalten. Hat’s gereicht? Egal, ich will ins warme und nach Hause. Beim Versuch mit dem Auto aus Bräunlingen hinaus zu finden irre ich eine Viertelstunde von einem Wohngebiet ins nächste aber irgendwann ist es geschafft und ich kann zuhause die Füße hochlegen. Dabei stelle ich fest dass auf meinem rechten Schuh noch so eine gelbe Marke befestigt ist. Oh…

Am Abend, im Internet sehe ich dann das es tatsächlich gereicht hat. Mein erster Marathon: 42,195km, 550 positive GPS-HM 2:58:50, 17 Gesammt, 1 AK. Sogar aufs Treppchen hätte ich gedurft wenn ich den Weg da hinauf noch geschafft hätte. Das erste mal in meinem Leben gewinne ich etwas und dann bin ich nicht da. Deprimierend, und leider ist auch mein Zielfoto nicht vorzeigbar; da ist ein Walker drauf und ich will nicht jedem erklären müssen das meine größte Marathonleistung nicht darin bestand das ich dieses Fossil mit den zwei Stöcken gerade noch so auf der Zielgeraden versägt habe.

Vielen Dank für die perfekte Organisation und all die freiwilligen Helfer die den Schwarzwald Marathon für die Läufer zu einem Großartigen Erlebnis gemacht haben. Die Drei Stunden Dauerlauf durch den Nebelverhangenen Schwarzwald waren für alle die bei Bewusstsein waren sicher unvergesslich.


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